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Kapitel 3: Der letzte Abend

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Liah drückte auf den roten Hörer des Telefons und legte es nachdenklich auf den Nachttisch. Sie blickte mit ihren rot-pinken Augen aus dem großen Fenster im Schlafzimmer und bedachte gedankenversunken den hübschen Sonnenuntergang am Horizont, der verspielte orange-rote Schatten auf ihre sonst blasse Haut warf. Es war bereits recht spät und Urs würde in wenigen Minuten durch die Haustür kommen. Er war mit seinem Lucario am Morgen in Richtung der Berge aufgebrochen, um seinen Untersuchungen nachzugehen, hatte ihr aber versprochen zeitnah zurück zu sein. Erst hatte sie ihn begleiten wollen, doch etwas lag ihr seit Tagen schwer im Magen und sie hatte darüber nachdenken müssen, alleine.
Absol und Arkani, die schnell gemerkt hatten, dass ihre Trainerin an irgendetwas zu nagen hatte, waren der Weißhaarigen den gesamten Tag nicht von der Seite gewichen, hatten versucht sie aufzumuntern, doch Liah wusste bereits, dass es nur eine einzige Sache gab, die sie tun konnte, um sich endlich besser zu fühlen.
Sie seufzte und ließ sich auf das große Doppelbett sinken. Arkani blickte kurz müde auf, als sich die Matratze neben ihm einsenkte und kuschelte sich an den Oberschenkel seiner Trainerin, ehe es die Augen wieder schloss. Rhythmisch tippte jene mit dem Zeigefinger gegen ihre Stirn und grübelte. Wenn sie ehrlich war, hatte sie ihre Entscheidung schon längst getroffen, eigentlich sogar schon bevor sie zu Urs gefahren war, sonst hätte sie nicht bereits mit ihren Eltern telefoniert, doch sie wusste einfach nicht, wie sie es ihrem neuen Freund beibringen sollte. Immerhin waren sie grade erst wenige Wochen zusammen und sie wollte ihn nicht verlieren. Nicht jetzt, wo sie doch grade erst zueinander gefunden hatten. Er hatte ihr so sehr geholfen, als sie ihren letzten Wettbewerb verloren hatte, hatte sie aufgebaut und aufgemuntert wie es nicht einmal ihre Pokemon konnten. Und ihre Entscheidung würde sie unweigerlich auseinander bringen. Wenn nicht emotional, dann zumindest körperlich und das war schlimm genug. Trotzdem war sie sich sicher, dass es die richtige Wahl war. Sie brauchte die neuen Erfahrungen, um sich weiter zu entwickeln.
In einem kurzen, egoistischen Moment hatte sie darüber nachgedacht Urs zu bitten mit ihr zu kommen. Sie würde es sich wünschen ihn tagtäglich bei sich zu haben und zu wissen, dass er sie unterstützte, doch den Gedanken hatte sie schnell verworfen. Nicht einmal, weil sie sich sicher war, wie er reagieren würde, vielleicht würde er sogar zustimmen und mit ihr kommen, sondern weil sie wusste wie viel ihm die Forschungen über die Stahlpokemon hier auf der Eiseninsel bedeuteten und er nicht glücklich sein würde, wenn er sie für Liah aufgeben würde. Und sie wollte ihm durch ihre Bitte kein schlechtes Gewissen bereiten.
„Liah, ist alles in Ordnung mit dir?“ Die Weißhaarige schreckte auf und sah direkt in die blauen Augen ihres Freundes, der vor ihr in die Hocke gegangen war und sie besorgt betrachtete. Seinen Hut hatte er auf die Holzkommode neben den Eingang gelegt, sodass seine dunklen Haare zum Vorschein kamen, die nach der Arbeit immer in alle Richtungen abstanden.
„Ja, natürlich.“, winkte das Mädchen ab und drückte ihrem Freund einen flüchtigen Kuss auf die Lippen. Sie wünschte wirklich, sie könnte Urs bereits über ihre Pläne aufklären, tatsächlich sollte sie dieses dringend so bald wie möglich tun, doch sie traute sich nicht aus Angst vor seiner Reaktion. Sie wollte nicht, dass er wütend wurde oder, schlimmer noch, enttäuscht war.
„Ich weiß, dass etwas mit dir ist. Du tippst dir immer nur an den Kopf, wenn du verbissen über etwas nachdenkst.“ Er griff nach ihrer rechten Hand und umschloss sie fest mit den seinen, während er sie sanft anlächelte. „Und eine neue Vorführung für den nächsten Wettbewerb kann es nicht sein, es ist grade erst das große Festival zu Ende, die nächsten Wettbewerbe starten frühstens in zwei Wochen.“, dachte er laut und malte mit seinem Daumen Kreise auf ihren Handrücken.
„Nein, es ist nicht wegen einem Wettbewerb.“ Liah musste schmunzeln, während sie ihren Freund betrachtete. Noch vor nicht allzu langer Zeit hätte sie nicht daran geglaubt, dass sie jemals so vertraut mit ihm sein könnte, schließlich hatte er nicht selten ihren eh schon nicht besonders langen Geduldsfaden zum Reißen gebracht, doch jetzt konnte sie sich ein Leben ohne ihn kaum noch vorstellen. Schon alleine die Tatsache, dass er direkt bemerkte, dass sie etwas beschäftigte, ließ ihr Herz höher schlagen.
„Was ist es dann, Liah? Du weißt, du kannst mir alles sagen.“ Sie nickte, als sie sein hoffnungsvolles Lächeln sah und schluckte schwer, als sie den Mund öffnete: „Ich habe überlegt nach Hoenn zu gehen. Ich habe gelesen, dass es dort auch Wettbewerbe gibt und ich möchte mich weiterentwickeln und lernen.“, sagte sie schnell und hastig, wagte es kaum ihn anzusehen, aus Sorge ihm sein Lächeln vom Gesicht gewischt zu haben, doch nichts dergleichen geschah.
„Das ist eine gute Idee!“ Urs strahlte, nahm ihr Gesicht in seine Hände und drückte dem überraschten Mädchen einen fröhlichen Kuss auf die Lippen.
„Du bist nicht irgendwie... enttäuscht? Oder wütend? Oder traurig?“ Liah konnte kaum glauben, wie der Dunkelhaarige reagierte. Sie hatte sich derartig viele schlimme Bilder ausgemalt, dass ihr die jetzige Situation doch etwas unrealistisch erschien.
„Nein, keineswegs.“, nahm er ihr jegliche Sorge und auch ihre Lippen verzogen sich zu einem Lachen: „Natürlich, ich bin traurig darüber, dass wir uns eine Weile nicht sehen werden, aber das kriegen wir schon hin. Ich werde versuchen dich bei deinen Wettbewerben zu besuchen und wenn ich einmal nicht da sein kann, werde ich alles im PokeWeb verfolgen und dir von hier die Daumen drücken.“ Er erhob sich und zog auch seine Freundin auf die Beine, um sie in die Arme zu schließen.
„Ich bin unglaublich stolz auf dich, dass du diesen Schritt wagen willst, ich bin mir sicher, dass du großartige Erfahrungen machen wirst, auch wenn ich dich hier unheimlich vermissen werde.“ Liah erwiderte seine Umarmung und klammerte sich fast an seine Schulter. Auch sie würde ihn vermissen, unendlich vermissen, doch seine Reaktion, seine positive Energie und sein Glauben an sie hatten ihr den letzten Ruck gegeben. Wenn er sich sicher war, dass es die richtige Entscheidung war und solange er sie unterstützen würde, konnte gar nichts schief gehen.
„Wann wirst du fahren?“
Die leise Frage stand schwer im Raum und das Mädchen zuckte mit den Schultern.
„Ich weiß es noch nicht.“, flüsterte sie wahrheitsgetreu und Urs nickte verstehend.
„Wir sollten es nicht länger herausschieben als nötig. Morgen geht eine Fähre, die dich nach Hoenn bringen kann.“, sagte er ebenso leise, doch sie waren einander noch immer so nah, dass sie sich ohne Probleme verstehen konnten.
Liah zögerte. Morgen, das ging so schnell und sie wollte gerne noch mehr Zeit mit ihm verbringen, doch andererseits hatte er recht. Würde sie länger bleiben, würde immer der Schatten ihrer baldigen Abreise über dem Paar schweben und die nächsten Tage drückend und traurig machen. So war es vielleicht besser. Sie hätten noch einen Abend und keinem von beiden würde die Zeit bleiben die Entscheidung noch einmal zu überdenken.
„Ja, du hast Recht. Ich werde morgen früh abreisen.“, bestätigte sie somit schweren Herzens seinen Vorschlag und er drückte sie noch einmal fest, bevor er sich von ihr löste.
„Dann lass uns noch einen schönen letzten Abend zusammen verbringen. Wie wäre es, wenn ich uns etwas Leckeres koche und wir ganz gemütlich im Bett essen. Oder wir schauen uns zusammen die Sterne an?“, schlug er vor und Liah stimmte erleichtert zu. Sie war froh, dass ihr diese Last von den Schultern genommen worden war und sie nun nach vorne, auf ihre Reise nach Hoenn schauen konnte. Natürlich lag ihr der bevorstehende Abschied noch schwer im Magen, doch sie würden miteinander telefonieren und es schon irgendwie überstehen können.
„Wirst du deine Pokemon alle mitnehmen oder möchtest du einige bei mir lassen?“, rief Urs zu ihr herüber, der schon in der angrenzenden Küche verschwunden war und Geschirr klimpern ließ. Sie kraulte einmal kurz den Kopf ihres Arkanis ehe sie ihm folgte und hinter ihm zum Stehen kam.
„Ich habe mit meinen Eltern gesprochen, sie werden in der Zwischenzeit auf sie aufpassen. Wir haben ein großen Gelände zuhause, wo sie frei leben und spielen können. Ich werde nur Arkani, Absol und Milotic mitnehmen.“, erklärte die Weißhaarige und betrachtete den jungen Mann dabei, wie er Zwiebeln zerschnitt.
„Das klingt gut. Dir ist aber bewusst, dass du dann nicht besonders große Kapazitäten hast, um dir neue Pokemon zu fangen, nicht wahr?“, gab er zu bedenken und Liah nickte mit dem Kopf, ehe ihr einfiel, dass Urs das in seiner jetzigen Position gar nicht sehen konnte.
„Natürlich habe ich darüber nachgedacht, ich bin ja nicht erst seit gestern Trainerin, aber ich bin mir sicher, dass ich mit genau diesen drei Pokemon meine Reise antreten möchte.“ Der Angesprochene lachte und schob die Zwiebeln mit einem Messer in die zischende Pfanne er antwortete: „Natürlich hast du nachgedacht. Wann hast du auch einmal nicht nachgedacht?“ Er drehte sich um und zwinkerte ihr zu, etwas, das sie wohl bei jedem Menschen lächerlich fand außer bei ihm.
Sie freute sich auf die neue Reise. Sie freute sich, weil sie sich sicher war, dass er immer hinter ihr stehen und sie unterstützen würde. Und dieses Mal würde sie sicherlich am großen Festival teilnehmen und jedem zeigen, was in ihr steckte.
Liah by arvenya

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